Ein Nachruf von Diakon Tobias Petzoldt
„Unser Kirchvorsteher Gerhard Werner ist wegen seiner klaren Haltung als Christ fristlos aus dem Schuldienst entlassen worden. Er ist 29 Jahre alt, steht jetzt bei uns im Dienst und will sich im Jahreslehrgang in Moritzburg als Katechet und Diakon ausbilden lassen.“
So hat es der Pfarrer der St. Andreas-Gemeinde Karl-Marx-Stadt am 8. März 1958 aufgeschrieben. Damit begann ein neuer und wahrhaft segensreicher Weg für den, den die meisten von uns als „Pfarrer Werner“ kannten. Und der doch kein „Pfarrer“ im eigentlichen Sinne war, sondern als „Pfarrdiakon in den nichtständigen pfarramtlichen Dienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens“ ab September 1978 zur „vikarischen Unterstützung der Geistlichen in der St.-Matthäus-Kirchgemeinde zu Karl-Marx-Stadt“ kirchenamtlich abgeordnet wurde. Vielleicht war er als gelernter Lehrer und Diakon mit seinem praktischen Blick für die Lebenslagen der Leute für die Chemnitzer Gemeinde sogar passender als manch ein studierter Theologe.
Nach dem Dienst als Gemeindediakon ab 1962 in Altendorf wurde Bruder Werner 1969 als Bezirkskatechet im Kirchenbezirk Freiberg tätig. Die Basisarbeit war ihm so wichtig, dass er sich lange sträubte, als er als „allseits äußerst geschätzter Mitarbeiter“ zum Bezirkskatecheten berufen werden sollte.
In den letzten zwei Dienstjahrzehnten gestaltete er „seine“ Gemeinde St. Matthäus. In einem entkirchlichten Umfeld prägte er Gemeinde und Stadtteil Altendorf zwischen Kanzel und Chor, Sakramenten und Skatrunden. Seine lebenstaugliche Sicht auf Glauben, Gemeinde und Gemeinwesen hat auch viele junge Menschen im Gottesdienst, in Christenlehre, Konfirmandenunterricht, Junger Gemeinde und bei Rüstzeiten beeinflusst. Dabei schimpfte er manchmal von der Kanzel herab auf die Verhältnisse und erklärte das in seiner Verabschiedung so: „Mein Gemüt ist wie Kalkstein. Das schäumt manchmal“.
Der Rauswurf aus seinem Traumberuf Lehrer blieb dabei wohl auch ein Trauma für ihn. Er hat uns wiederholt erzählt, wie seine ehemalige Klasse in einem Schweigemarsch an ihm vorbelief. Umso berufsbewusster hat er sich dann dem Dienst in der Glaubensbildung gewidmet.
In den Moritzburger Akten werden in persönlichen Schriften drei klare Prioritäten Gerhard Werners deutlich:
- Ein tiefer Glaube, der darum ringt, persönliche, geistliche und strukturelle Interessen zusammenzubringen und Gottes Handschrift darin zu sehen. Vielleicht war die manchmal ähnlich schwer zu lesen wie seine Handschrift, ich hatte mitunter echt ein bisschen Mühe, manches entziffern zu können.
- Die Wichtigkeit seiner Familie. Die 69jährige Begleitung seiner Frau Jutta in allen Stürmen der Zeiten und die fortwährend liebevolle Erwähnung seiner Kinder Katharina und Joachim, später auch seiner geliebten Enkel und Urenkel.
- Eine starke Liebe zum jeweiligen Dienst, zur Kirche und vor allem zum Diakonenhaus Moritzburg. Unser Bruder Gerhard wurde am 20. Juni 1963 als Diakon und in die Brüderschaft eingesegnet. Die Glaubensgeschwister und der Ort waren ihm eine wichtige geistliche Heimat. In den 80igern war er im Brüderrat aktiv. Bis zuletzt hat er sich liebevoll und gelegentlich auch kritisch mit aktuellen Moritzburger Entwicklungen auseinandergesetzt.
Nun hat der Ewige ihn in gesegnetem Alter friedlich zu sich gerufen. Als Weggefährten konnten wir am 12. Februar auf dem Gottesacker St. Matthäus Abschied nehmen, im Bewusstsein, dass er viele Jahrzehnte unser Wegbegleiter war in der Gemeinde, in der Gemeinschaft und im Gemeinwesen. Durch ihn sind andere Wegbereiter geworden, um in kirchlichen Diensten Menschen bei ihrer Gottsuche zu begleiten. Auch ich.
So lassen wir ihn nun dankbar schauen, was er geglaubt, gehofft und gepredigt hat.
Und bleiben verbunden in der Zuversicht auf ein Wiedersehen. Danke für viel.